Dr. Birgit Löffler - Kunsthistorikerin, Eröffnungsrede am 25. Januar 2008:

Gerhard Prokop: Bilder 1980 – 2007, im Kunstverein Rosenheim 2008

Gerhard Prokop ist Fotorealist seit den Anfängen seiner Malerei in den 70er Jahren. Sie zeichnet sich aus durch einen Adlerblick, der in der Regel knapp neben das gängige Bildmotiv zielt, dieses Daneben aber umso schärfer ins Bild bannt.

Wenige Jahre nachdem auf der documenta 1972 die ersten Fotorealisten aus den USA überhaupt in Deutschland zu sehen waren, wurde ihm in Rosenheim der Förderpreis für Kunst verliehen. Das ist im Nachhinein erstaunlich, denn in der deutschen Kunstszene galt diese vermeintliche Rückkehr zu einem Realismus als verpönt – war man doch nach der Kunst Nazideutschlands und später durch den sozialistischen Realismus hier noch immer empfindlich. So hatte es diese Kunst besonders schwer: von der dominierenden Seite der abstrakten, individualisierten Malerei belächelt, wurde sie von anderer Seite aufgrund ihrer virtuosen Darstellung mit Begeisterung aufgenommen. Diese Seite wiederum mit ihren Interessenschwerpunkten Kitsch oder Werbung war ebenfalls nicht das Publikum, das sich für die gesellschaftskritischen Schlaglichter Gerhard Prokops zu erwärmen vermochte.

In den Achtzigern machten zwar die Berliner Jungen Wilden grundsätzlich eine realitätsbezogene Malerei  international wieder zu einer denkbaren Kunstform, aber Malerei als solche trat vor allem jenseits der großen Kunstzentren immer noch weit hinter die neuen Medien zurück. Erst in diesen Jahren, in denen die Malerei endgültig wieder salonfähig geworden ist und die Fotokunst sich um Fragen bemüht, die Prokop durch die Übersetzung in Malerei doppelt intensiv stellt, wird also eine Prokop-Ausstellung hier im Rosenheimer Kunstverein wieder möglich. Die Süddeutsche Zeitung hat auf eine Rosenheimer Ausstellung selten so euphorisch und umfangreich reagiert wie heute, und auch das so zahlreich erschienene Publikum belegt die Wertschätzung Prokops im Kreis der Kollegen und Kunstfreunde.

Gerhard Prokop ist Rosenheimer, 1951 geboren. Als Sohn Karl Prokops früh in die Malerei hinein gewachsen, hat er sich um 1980 intensiv an der Kunstvereinsarbeit beteiligt, war anschließend längere Zeit in München und  hat sich seit seiner Rückkehr verstärkt mit Motiven aus dem Rosenheimer Raum beschäftigt.

Wie sind nun die Reaktionen gerade der Rosenheimer vor diesen Bildern?
Es herrscht Verblüffung und Begeisterung angesichts der Technik, mit Recht natürlich, denn Gerhard Prokop ist Perfektionist - nicht mit Airbrush wie die Modezeichner, sondern tatsächlich mit dem Pinsel -, aber damit endet häufig der Kommentar. Und damit endet er wohl nicht zuletzt deshalb, weil das Dargestellte aufgrund seiner stets ungewöhnlichen Sichtweise weniger leicht zu kommentieren ist.

Ähnlich verhielt es sich schon mit seinen früheren Bildern, und da schon lange nichts mehr von ihm in Rosenheim zu sehen war, bietet die Ausstellung eine Auswahl aus den Jahren 1980 bis 1982.

Das Karton-Stillleben, eine Leihgabe der Städtischen Galerie Rosenheim, zeigt im monumentalen Format von über einem Quadratmeter leere Kartons, nachlässig gestapelt auf einer angeschnittenen Kommodenecke. Zwar hatte es die Arte Povera möglich gemacht, Abfälle künstlerisch in Materialbilder einzubauen, und hatte es die Pop Art möglich gemacht, Alltagsdinge wie diese in poppigen Bildern zu vergrößern, aber Abfall in minutiöser Ölmalerei, wie wir sie von edlen niederländischen Stillleben und Interieurs des 17. Jh. kennen – das irritierte und stellte Sehgewohnheiten, Werte, ja die Malerei  selbst in Frage.

1980 war für Gerhard Prokop ein Jahr der Städtebilder. In einer Zeit, da immer weitere Reisen und das Fliegen in Mode kamen und Italien zum Lieblingsziel der Deutschen avancierte, malte auch Gerhard Prokop: Kairo, Marokko und Florenz. Aber nicht die Touristenziele, sondern überbesetzte Busse, verwahrloste Straßenecken, und vordergründig banale, weil durch Autoverkehr, Werbung und Technik „globalisierte“ Ausschnitte pulsierenden Stadtlebens. Ein - jüngeres - Beispiel ist „La Paz“ in Bolivien. Auch hier Irritation, weil wir gewohnt sind, die wichtigen Dinge ins Bild gebannt zu sehen. Jede Kunstrezension schärft es uns ein: Kunst ist, wenn sie aufs Wesentliche reduziert. Sollte nun dieses das Wesentliche sein? Noch dazu derart vergrößert? Und wenn „wesentlich“, warum? -- Indem wir grübeln, hat Prokop schon Wesentliches erreicht.

Dann kamen die Fernsehbilder, 1981, leicht verschwommen wie die echten Standbilder und ebenso gezielt am vermeintlich Wesentlichen vorbei wie die Städtebilder, z.B. „Moskau“: zwei ältere Moskauer Bürger von seitlich hinten, die während der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung vom Hitlerregime vermutlich eher zufällig von der Kamera erfasst sind, die Moderatorin („Chris Lohner“) sowie der amerikanische Truthahnjäger.

In einer Zeit, da das Fernsehen endlich wohl auch die letzten Haushalte in Deutschland erreicht hatte und nun flächendeckend auch durch Farbigkeit erfreute, hält Prokop ausgerechnet und wiederum Nebensächlichkeiten daraus fest, und zwar in Technik und Format, die Bedeutendes vermuten lassen. Nehmen wir den „Truthahnjäger“. Ist er als Person tatsächlich allenfalls im kleinsten Kreis aufgrund seines Exotenfachs von Interesse, beschäftigt den Künstler die allgemeinere Frage: Welche Veränderungen erfährt die vermeintliche Realität auf diesem Weg über die Auswahl des Themas, des Jägers, über Kamera, Kameramann, Schneider, Kommentator, Übersetzer, Betrachter? Was ist real? Wo beginnt die Manipulation? Oder gibt es verschiedene Realitäten? Von denen die Malerei einer einzigen besondere Bedeutung zu verleihen vermag? Eine Frage, die in der Kunst heute virulenter ist als je zuvor .

Durch die Übersteigerung eines Fernsehbildes, durch seine fotorealistische und überdimensionierte Darstellung stellte Prokop Gewohnheiten in Frage und übte gleichzeitig Kritik am abnehmenden Niveau der Fernsehbeiträge.

Hier demonstriert im Übrigen die Interpretation des Künstlers, der ein einzelnes Standbild herausfiltert, genau jene künstlerische Subjektivität, die den Fotorealisten der 70er Jahre von ihren Malerkollegen der gestisch-expressiveren Seite so gern abgesprochen wurde.

Unsere Sehgewohnheiten erschüttert Gerhard Prokop seitdem immer noch mit unverminderter Kraft, und es ist ein unschätzbares Geschenk für Rosenheim, wenn sich ein Künstler wie er diese Stadt so konzentriert vornimmt.

Vielleicht begann seine Rosenheim-Malerei in dieser Intensität, als Gerhard Prokop 1990/91 das Stadt-Panorama für das Treppenhaus des neuen OVB-Gebäudes malte. Es ist ein 360°-Rundumblick auf die Stadt vom Sparkassenhochhaus aus. Auf 7,60 m Länge ist jedes von dort sichtbare Gebäude erfasst. Aber während der Ausschnitt mit Sankt Nikolaus und Hl. Geist noch vertrautes Wohlgefühl bereitet, überzeugt der Ausschnitt mit der alten Karstadt-Fassade auch noch den unbedarftesten Betrachter von ihrem tragischen Einfluss auf das Stadtbild, und zwar obwohl sie völlig unverfälscht im gewohnten Umfeld zu sehen ist. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass das Auge für Malerei andere, ästhetisierende Sehgewohnheiten voraussetzt. An dieser Stelle hakt Prokops Malerei nach, damals und heute. (Die Fassade wurde inzwischen umgebaut.)

Heute, das ist die Mehrzahl der Arbeiten in der Ausstellung: es sind Motive aus Rosenheim und Umgebung, die in den letzten beiden Jahren entstanden und sozusagen das Kontrastprogramm zur letzten Stadtbilderausstellung im Stadtmuseum bilden - nicht weniger bedeutend als diese.

Zum Beispiel „Kufsteiner Straße 2“: Teer und brauner Schneematsch, gerahmt von Tankstelle und Schilderwald, dazu lange Winterschatten und Abluft aus einem Fabrik-Kamin. Ähnlich der Kellerberg in Aibling: vor allem Teer und Baustelle, und am Rande, wie nebenbei, mit Abrisswunde und Gerüst, das historische Gebäude.

Oder das „Kraftwerk“ – im minutiös erfassten Wassergekräusel ein grobschlächtiger Stahlbetonkoloss, dessen Rhythmisierung durch Blechcontainer und Brecher doch auf eine Art und Weise anrührt.

Die „Alte Spinnerei“ in Kolbermoor: strahlend gelb unter föhnblauem Himmel, aber auf die Seite gerutscht, der Wasserlauf ist im Mittelpunkt, die Baustelle auf der anderen Seite ein Kontrapunkt zur baufälligen Fassade mit all den Narben ihrer Veränderungen.

Auch der „Chiemsee“ ist dabei: das wenige Wasser im Vordergrund von einem rostigen Abwasserrrohr gekreuzt, der Blick auf den See von Baugerät und Containern verstellt und auch der letzte Rest Landschaftsidyll, verschneite Berge, von grob angeschnittenen Bäumen verdeckt.

Die „Innbrücke“: die jeden fotodokumentarischen Blick konterkariert, indem sie als Betonspange die gesamte Ziegelberger Häuserzeile am Inn entlang überschneidet. Die Häuser jedoch liefert Prokop uns indirekt: als Spiegelung im Inn, dem zweiten Hauptmotiv. So glatt und blau zeigt der sich wohl selten, und dennoch ist nichts erfunden – Prokop hatte einfach ein paar Jahre lang Geduld hat bis zum passenden Foto.

Mit seinem Faible für Wasseroberflächen „entschädigt“ er auch für den zweiten Ziegelberger Anschnitt „Eisenbahnbrücke“: ein Stück Brücke, eine Eisenbahnunterführung, in der Verkürzung kaum erkennbare Häuser - und das im Regen! Aber erstaunlich, was dieser auf der Straße bewirkt und auf der Mauer, und wie anders und wiederum unterschiedlich das Wasser von Inn und seinem Zufluss aussieht. Nicht, dass es Prokop nur darum ginge, aber gerade diese Sensibilität für Oberflächen verleiht den Bildern einen Reiz, der dem Widerspruch zur äußerlichen Banalität des Motivs einen besonderen Akzent verleiht.

Auch das „Kieswerk“ in einsam-grauer Tristesse: frei von Sentimentalität und dennoch geradezu ein Stimmungsbild von nicht ganz unfreiwilliger Komik mit seinen Relikten aus technischer Vorzeit.

Und schließlich die Schrottberge, Prokops Ergebnisse der Motivsuche in Traberhof- und Äußerer Münchner Straße, welche auch als Titel fungieren. Gerade damit kommt ein ironischer Aspekt hinzu; es setzen aber auch jene Fragen an, die diese Malerei an uns stellt: Sieht es dort wirklich so aus? Warum musste es gerade dieser Ausschnitt sein? Spricht die Liebe zum Detail für eine positive Sicht des Malers auf diesen Wohlstandsabfall? Haben wir es mit einem Stillleben zu tun? Sind es die malerischen Qualitäten der unterschiedlichen Rost-Töne, die den Maler reizen? Oder möchte er auf die unaufgeräumten Ecken der Stadt verweisen? Etwa eine ökologische Rüge erteilen?

Ganz sicher regt zwar so manches Bild als „Stadtporträt“ zum Nachdenken an, zumal das Breitformat einen besonders dokumentarischen Charakter hat, aber der vorrangige künstlerische Anstoß ist ein anderer, erkennbar im „Gaswerk“: Die vielfältig spiegelnde Glasfläche in der leuchtend roten Wandfläche ist ein Schmuckstück, das Parkhaus – per Zufall auf seinem Beutezug entdeckt, zufällig leer und sonnendurchflutet - eine moderne Kathedrale.

Prokops  jüngstes Paradestück ist der „Berliner Hauptbahnhof“ – perfekt, menschenleer und ohne Züge, zeitlos. Zwar fotografierte Prokop ihn tatsächlich in diesem Zustand und um kurz vor 12 Uhr, aber wie fast alle Bilder ist die Gemäldevorlage aus mehreren kleinen Digitalaufnahmen zusammengesetzt und entzerrt zu einer kombinierten Weitwinkel- und Teleobjektivansicht, wobei das endgültige Bild durch seine lebendigen, vibrierenden Pinselduktus anstelle der erwarteten Fotooberfläche zusätzlich Irritiert.

Prokops Sicht ist damit eine äußerst moderne, präzise, eine unbestechliche, unbefangene, eine neugierige, geduldige und immer eine künstlerische, die gerade auch das Andere sichtbar machen möchte. Entsprechend lautet das Motto, das er seiner website voran gestellt hat: „Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu erforschen, sondern darin, mit neuen Augen zu sehen“. (Marcel Proust)

Das gelingt ihm! Und damit steckt er uns an, seit Jahrzehnten, mit großem Können, unermüdlichem Fleiß und hochachtenswerter Konsequenz.

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